Tag 151:
Der Tag beginnt früh, da mich vorbeilaufende Wanderer aufwecken. Deshalb breche ich zeitig auf und wandere den Berg hinauf. Der Weg führt die meiste Zeit steil bergauf oder bergab und besteht zum Großteil aus Geröllfeld. Meine Füße protestieren lautstark, denn auf Geröllfeld laufen mögen die gar nicht. Dafür ist der Ausblick allemal besser als im Wald….
Bei dem dritten Abstieg kommt vor mir eine andere Wanderin in Sicht. Sie dreht sich um und ruft meinen Namen. Als ich näher komme erkenne ich das es Dicks ist, mit der ich schonmal gecampt habe. Wir freuen uns über das Wiedersehen und laufen gemeinsam weiter. Als wir die nächste Wasserquelle (einen See etwas abseits vom Trail) erreichen machen wir Mittagspause. Und auch wenn der See nur ca. 5-10 min entfernt sind wir beide zu faul, um hinzulaufen 😀 wir spielen also schnick Schnack schnuck, dicks verliert und geht für uns beide Wasser holen. Danach quatschen wir wobei sich das Gespräch die meiste Zeit über den Trail und unser Leben danach dreht. Schon komisch, wie schnell die Zeit vergangen ist…
Den Nachmittag über verläuft der Weg die meiste Zeit bergab und ich bin etwas schneller als Dicks. Ich entscheide mich dann auch noch den nächsten Berg anzugehen. Doch auf der Hälfte des Weges verlassen mich meine Kräfte. Der Tag war doch ziemlich anstrengend und ich beschließe meinen Füßen eine Pause zu gönnen. Glücklicherweise finde ich einen kleinen, flachen Platz auf dem ich mein Zelt aufbaue.
Tag 152:
Ich sehe heute doch tatsächlich meinen achten Bär. Langsam glaube ich echt, dass mich jemand auf den Arm nehmen möchte. Die meisten Wanderer sehen gerade mal einen bis zwei Bären, wenn überhaupt… und ich habe einfach mal schon acht gesehen. Soll ich bis Kanada noch die 10 voll bekommen oder was? 😀
Nach einem harten Wandertag und diesem Erlebnis am Abend bin ich fix und fertig, als ich am Zeltplatz ankomme. Da campen zum Glück schon zwei andere Wanderer und somit bin ich nicht alleine. Doch auch ich habe Tage, an denen es mir echt schwer fällt auf andere Menschen zuzugehen. Und heute ist einer dieser Tage und ich muss mich echt überwinden die beiden zu fragen ob wir zusammen zu Abendessen können. Natürlich haben sie nichts dagegen und wir haben einen richtig schönen Abend. Der eine von beiden hat Schokolade dabei, die er mit uns teilt, und es werden Geschichten ausgetauscht.
Tag 153:
Ich habe fast die ganze Nacht nicht geschlafen. Mich hat mal wieder eine Maus wachgehalten, die die ganze Nacht über mein Zelt gelaufen ist. Und da mir ein Wanderer erzählt hat, dass eine Maus ein Loch in sein Zelt gebissen hat, die ganze Zeit in seinem Zelt herumgerannt ist und er sie im Endeffekt mit seiner Wasserflasche erschlagen hat, bekomme ich schon eine Gänsehaut wenn ich eine Maus nur sehe. So schlage ich im Halbschlaf immer wieder gegen mein Zelt, um die Maus zu verscheuchen. Nachdem ich dann doch ein wenig Schlaf gefunden habe schrecke ich morgens auf. Überall ist Rauch und ich frage mich, ob sich das Feuer ausgebreitet hat. Doch es hat sich nur die Windrichtung geändert und der Wind bläst den Rauch jetzt direkt in meine Richtung. Das einzige was ich am Vormittag zu Gesicht bekomme ist also eine weiße Wand aus Rauch.
Erst am Nachmittag lichtet sich dieser ein wenig und ein Stück blauer Himmel wird sichtbar. Das nutze ich direkt mal aus und gehe in einem der Seen ein wenig schwimmen. Das Gefühl nach einem langen Wandertag in den See zu springen ist einfach fantastisch. Besonders heute war ein langer Tag… ich habe 2500 Höhenmeter überwunden und bin 25 Meilen (40km) gewandert, um die nächste Stadt zu erreichen. Der Wunsch nach einer Dusche war einfach zu groß, weshalb ich die gesamte Strecke an einem Tag zurückgelegt habe Ich mache mich also schnell auf den Weg zu einer Hütte, die von den Wanderern zum übernachten genutzt werden kann. Nach einer Dusche und Abendessen falle ich förmlich ins Bett. Ich teile mir das große Matratzenlager zum Glück nur mit einem anderen Wanderer.
Tag 154:
Morgens verlasse ich die Hütte und mache mich auf den Weg zum Einkaufen in die nächstgelegene Stadt (Skykomish). Der Laden ist sehr überschaubar und durch die eingeschränkte Auswahl bin ich schnell fertig. Zwei Angler nehmen mich mit zurück zum Trail und ich sitze eingequetscht zwischen Angelruten und Fischköder im hinteren Teil des Wagens, während sie mich über den PCT ausfragen.
Zurück auf dem Trail geht mir die ganze Zeit ein Lied durch den Kopf: Final Countdown… Jetzt, wo es nur noch unter 200 Meilen (ca. 320km) bis Kanada sind hat der Countdown begonnen. Meine Motivation ist zurückgekehrt und ich sehe den letzten Meilen optimistisch entgegen.
So wandere ich heute auch direkt etwas weiter als geplant und schaffe es bis auf die Spitze des Berges. Dort sitzt schon ein anderer Wanderer namens Josh beim Abendessen. Später kommen auch noch Kim und Michael dazu und da es auf der Spitze langsam ein wenig eng wird beschließen wir alle direkt nebeneinander, ohne Zelt, zu schlafen. So gebe ich dem Cowboy Camping also noch eine zweite Chance.
Bevor wir jedoch schlafen gehen sitzen wir noch im Dunkeln zusammen im Kreis und essen Dessert. Kim und Michael zeigen uns nämlich ihr Lieblingsessen auf dem Trail: Cracker mit Nutella und Blaubeeren.. soooo lecker. Danach kuscheln wir uns in die Schlafsäcke und ich fühle mich wie im Matratzenlager. Josh, ich, Kim und Michael liegen arm an arm aneinander na ja zumindest wird uns diese Nacht wohl nicht kalt werden 😀
Tag 155:
Heute wird mir wieder einmal bewusst wie wunderbar gut ein Schluck kaltes Wasser aus einem Bergbach schmeckt. Besonders dann wenn die ersten beiden Bäche ausgetrocknet waren und das Wasser langsam knapp wurde. Es ist aber auch ein wirklich heißer Tag und durch die Hitze und den ganzen Rauch trinke ich wesentlich mehr als normalerweise. Selbst in der letzten Nacht ist es nicht richtig abgekühlt und es hat diesmal sogar nicht geregnet, wodurch das Schlafen unter dem Sternenhimmel ein echt tolles Erlebnis war. Ansonsten passiert an diesem Tag nicht viel. Ich finde nur meine erste Zecke, breche mir einen weiteren Fingernagel ab (ich will gar nicht wissen welchen Nährstoffmangel ich nach 5 Monaten ohne wirkliches Obst und Gemüse habe :D), mache etwas Yoga und sehe sehr viele Murmeltiere.
Tag 156:
Heute mal eine Auswahl meiner Freizeitbeschäftigungen auf dem PCT wenn der Handyakku geschont werden muss:
- Murmeltiere zählen (heute sind es ganze neun Stück)
- Singen (lässt die Zeit wie im Flug vergehen und verscheucht ja bekanntlich auch die
- Bären ist beim Berg hoch gehen nur etwas schwierig..)
- Das Essen bären-, Eichhörnchen und mäusesicher am Baum aufzuhängen. Nur um dann festzustellen das da noch ein Schokoriegel in der Seitentasche des Rucksacks versteckt ist oder man sich noch nicht die Zähne geputzt hat. (Ist mir alles schon passiert :D)
- Die Aussicht genießen. Zumindest dann wenn man eine hat. Ich bekomme in den letzten Tagen leider nur eine weiße Wand aus Rauch zu Gesicht.
- Mit anderen Wanderern quatschen (vorausgesetzt es sind welche da )
- Darüber nachdenken was man zuhause alles essen und machen möchte (Vorsicht, kann zu Heißhungerattacken und großem Heimweh führen!)
- Über sein eigenes Leben philosophieren (sehr tückisch, denn manchmal komme ich aus dem Grübeln kaum raus und habe im Endeffekt nur mehr Fragen als zuvor ;))
- Etwas lesen (leider habe ich so gut wie nichts zum lesen dabei. Bei der nächsten Wanderung kommt auf jeden Fall wieder mein Kindl mit)
- Yoga machen (ist doch immer wieder sehr schön, tut meinen Muskeln gut und entspannt mich)
- Über Baumstämme klettern (zu guter Letzt noch meine absolute „Lieblingsbeschäftigung“ alleine heute kraxle ich wieder über 15-20 Baumstämme)
Tag 157:
Meine Wanderung auf dem PCT würde sich echt gut als Computerspiel eignen: wandere den Trail, überquere den Fluss, klettere über den Baumstamm, verteidige dein Essen vor den Eichhörnchen verstecke dich vor den Bären… 😀 Wer weiß, vielleicht ist das ja eine neue, geniale Geschäftsidee, wobei ich das wirkliche wandern einem Computerspiel doch deutlich vorziehe. Besonders heute, wo der Himmel sich langsam wieder aufklart und ich endlich mal wieder etwas zu sehen bekomme. Zwar nicht viel aber immerhin.
Die meiste Zeit laufe ich nämlich durch den Wald. Der Boden ist sehr angenehm für meine Füße und ich genieße es richtig im Wald unterwegs zu sein. Alle Steine sind mit Moos bewachsen und die Bäume mit Flechten geschmückt. Die Luft scheint hier sehr rein zu sein, denn so viele Flechten habe ich bisher in noch keinem Wald gesehen. Auch wenn ich super gerne im Wald wandere, Campe ich lieber auf freien Flächen. Denn im Wald werde ich bei jedem Geräusch wach und dauernd knackst oder raschelt etwas. Deswegen wandere ich noch den Berg hinauf und Zelte in der Nähe eines kleinen Baches.
Tag 158:
Die Vorfreude in die Stadt zu kommen ist riesig. Kein Wunder, ich habe auch so gut wie nichts zu essen mehr und meine letzte Dusche und Wäsche ist schon fünf Tage her. Daher wandere ich die 20 verbleibenden Meilen und 1000 Höhenmeter (bergauf) in Rekordzeit für mich. So schaffe ich es schon am späten Mittag zur Straße, an der mich Trailmagic erwartet.
Leider bin ich wohl schon zu spät und da fast nichts mehr übrig ist bleibe ich nur kurz, um mit den anderen Wanderern zu quatschen und versuche danach Richtung Stadt zu trampen. Und manchmal ist das ganz und gar nicht lustig. Nämlich dann wenn keiner anhält Schließlich hält dann doch eine Familie und nimmt mich mit. Und damit hatte ich echt Glück, denn sie sind super nett und bieten mir sogar an mit Ihnen nach Hause zu kommen, um dort zu duschen und zu waschen.
Doch vorher fahren wir noch bei dem kleinen Laden von Mazama vorbei. Der ist auch alles was die Stadt ausmacht, denn viel mehr gibt es hier nicht. Dafür ist der Laden gut ausgestattet und bietet vor allem viele vegetarische und vegane Produkte an. Und vor allem verkaufen sie richtig gutes Baguette. Daher kann ich nicht widerstehen und kaufe mir zwei Stück für den nächsten Abschnitt.
Danach fahren wir dann zu dem Haus der beiden. Die Kinder der beiden (zwei Mädchen) erinnern mich unwahrscheinlich an meine Schwester und mich selbst und als wir das Haus erreichen nehmen die beiden mich direkt mit, um mir alles zu zeigen. Da gibt es einen kleinen Obst- und Gemüsegarten, einen Stall mit 10 Hühnern und ein wunderschönes Haus, in dem fast alles aus Holz besteht. Es gefällt mir unglaublich gut und ich fühle mich direkt wohl. Nach dem duschen lese ich den beiden Mädchen dann ein Buch vor während die Mutter namens Katherine einen Kuchen backt und das Abendessen kocht. Zu dem kommt auch noch die Großmutter vorbei und bringt Kartoffelsalat und frisches Gemüse aus ihrem Garten mit. Das Essen ist super lecker und besonders der Nektarinen Pie mit Vanilleeis zum Nachtisch ist einfach nur genial.
Tag 160:
Nach einem Frühstück (ich bekomme doch tatsächlich ein Riesen Stück Nektarinen Pie) fährt die Großmutter mich zurück zum Trail. Sie spricht auch ein wenig deutsch und fliegt oft zum wandern nach Österreich. Und sie macht doch tatsächlich in dem gleichen Tal Urlaub, in dem ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht habe und aus dem auch meine Patentante kommt. Die Welt ist doch so klein!
Zurück auf dem Trail wandere ich am Bergkamm entlang und bekomme den ganzen Tag lang tolle Aussichten zu Gesicht. Da ich erst nächsten Samstag einen Bus von der kanadischen Grenze nehmen kann habe ich viel Zeit, um die letzten Meilen zu wandern. Somit wird also nochmal richtig genossen…
Tag 161:
Ich weiß noch wie schrecklich ich die Vorstellung alleine zu wandern zu Beginn fand. Und mittlerweile liebe ich es 🙂 Dadurch bin ich viel selbstständiger und auch offener geworden. Ich bin dazu gezwungen eigene Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen umzugehen. Zudem gehe ich viel schneller auf neue Menschen zu und bin daher so gut wie nie alleine. Auch heute lerne ich eine andere Wanderin namens Sprite kennen und wir kommen vor lauter reden kaum zum wandern. Dabei ist der Weg heute echt schön. Die meiste Zeit haben wir eine geniale Aussicht und wandern am Bergkamm entlang.
Tag 162:
In der Nacht aufzuwachen, weil ich friere ist ein grauenhaftes Gefühl. Ich rolle mich zu einem kleinen Ball zusammen und versuche mich irgendwie zu wärmen. Morgens trinke ich erstmal eine heiße Schokolade und starte zusammen mit Sprite erst gegen 8 Uhr. Wir können uns vorher einfach noch nicht überwinden aus dem Schlafsack zu kommen beim wandern kommen uns viele Wanderer entgegen (nämlich diejenige, die keine Genehmigung haben, um nach Kanada einzureisen und deshalb nur bis zur Grenze laufen und dort umkehren und bis zur nächsten Stadt zurücklaufen). So treffe ich Io und ein paar andere bekannte Gesichter wieder. Besonders freue ich mich als ich Carmen und Micha widertreffen. Die beiden habe ich während meiner Reise immer wieder mal getroffen und es ist super schön sie auch jetzt, am Ende, nochmal zu sehen. Nach so vielen Monaten gibt es so einiges auszutauschen 🙂
Als ich dann weiterlaufe führt mich der Weg an einem Abgrund entlang und im Nebel und Wind da lang zu wandern ist ein wenig unheimlich. Doch am Mittag klart es endlich auf und mir wird zum ersten Mal wieder warm. Als die Sonne dann sogar etwas rauskommt nutze ich die Zeit für eine Mittagspause. Nachmittags überquere ich meinen letzten Berg. Von diesem aus habe ich eine tolle Aussicht und mir wird bewusst, dass die Berge da hinten schon Kanada ist. Meine Gefühle sind gemischt als mir bewusst wird, dass meine Reise nun fast zu Ende ist. Einerseits bin ich erleichtert und glücklich und andererseits doch auch ein wenig traurig. Doch vor allem ist da eine ganze Menge Stolz.
Als ich zum See komme wartet schon Sprite auf mich und wir nutzen den Abend wieder zum quatschen, wobei wir uns schon nach einiger Zeit in die Schlafsäcke kuscheln, da es einfach zu kalt ist. Ich ziehe alles an was ich habe und hoffe inständig diese Nacht nicht zu frieren.