Pyrenäen Durchquerung auf der Haute randonnée pyrénéenne
Tag 21
Gestern bin ich voller Freude in die kleine spanische Stadt Salardu gewandert. Auch wenn sich die Vorratsbeschaffung in dem kleinen Supermarkt als äußerst schwierig erwiesen hat habe ich genug bekommen. Zwar besteht meine Ernährung in den nächsten Tagen vorwiegend aus Kartoffelpüree, Nudeln und Mayo, aber immerhin habe ich auch etwas Käse und Schokolade auftreiben können. Auf die Nudeln mit Mayo freue ich mich auf jeden Fall jetzt schon (nicht :D).


Als ich morgens voller Erwartung die Gardinen des Refugios zur Seite schiebe erwartet mich allerdings kein blauer Himmel. Es ist bewölkt und laut meiner Wetterapp kann es leicht regnen. Der lässt nicht lange auf sich warten und bereits kurz nach dem Start ziehe ich die bunte Regenkleidung an. Doch leicht bleibt der Regen leider nicht. Als es mittags stärker wird finde ich zum Glück Unterschlupf in einem Schafstall. Von hier prüfe ich erneut das Wetter und zum Glück soll der Regen am Nachmittag immer weniger werden.

Frohen Mutes kraxel ich den Pass hinauf. Einen Weg gibt es nicht. Es geht senkrecht den Berg hinauf und wieder einmal sind meine Fähigkeiten als Bergziege gefragt.
Als ich endlich oben ankomme ist der Regen wieder etwas stärker geworden. Vor mir liegt ein langer Weg auf dem Bergkamm. Mir ist ein wenig mulmig zumute doch ich laufe los. Leider zieht nun auch noch ein Gewitter auf und der Regen wird stärker und verwandelt sich zunehmend in große Hagelkörner, die schmerzhaft auf meine Haut einprasseln. „Aua“ schreie ich als mich ein besonders großes Korn gleich am Kopf trifft. Im gleichen Moment schlägt nicht weit von mir der Blitz ein, direkt gefolgt von einem mächtigen Donnern. Ein Gewitter… genau über mir und ich bin mitten am Berg. Am höchsten Punkt. Unbehagen breitet sich in mir aus.


Ich beschließe seitlich ein kleines Stück abzusteigen, um zumindest ein wenig runter vom Bergkamm zu kommen. Aber es ist steil, die Steine sind rutschig und innerhalb einer Sekunde passiert es wie in Zeitlupe. Ich rutsche aus und falle auf alle viere. Mein Atem geht nur noch stoßweise vor lauter Schreck.

Erst später sehe ich das Ausmaß meines Sturzes. Blutig, schmutzig und vollkommen durchnässt kauere ich mitten am Berg und greife zitternd in Richtung Notfallsender. „Soll ich?“. Doch bevor ich einen Notruf absende checke ich mein Handy. Ich habe Empfang. Sofort wähle ich eine Nummer und wenig später höre ich die vertraute Stimme meines Freundes Matthias. Die Tränen rollen mir die Wangen hinunter und ich bin vollkommen aufgelöst. Schluchzend berichte ich ihm was passiert ist und er gibt mir Halt. Sorgt dafür, dass ich mich umziehe und meine Wunden versorge und spricht mir Mut zu.
Der Schock lässt langsam nach und ich bin wirklich dankbar einen Matthias zu haben. Einen Menschen, den ich anrufen kann, wenn es mir mal so richtig schlecht geht. Der mich nicht verurteilt sondern mich unterstützt und für mich da ist. So einen Menschen wünsche ich wirklich jedem von ganzen Herzen 🙂 Ein Mensch der sagt „Du schaffst das“ und „ich schaffe das“. Das predige ich mir vor. Und das Glück steht heute auf meiner Seite. Das Gewitter verzieht sich und ich kann den Abstieg beginnen.
Doch heute ist mir bewusst geworden wie schnell solch ein Unfall JEDE*N treffen kann. In den Bergen ist niemand von uns unbesiegbar. Wir können und sollten unser Risiko minimieren indem wir gut trainiert und richtig ausgerüstet sind und Erfahrung mitbringen. Das Risiko ganz nehmen können wir allerdings nie und die Gefahr ist oft ein stiller Begleiter.
Tag 22
Der Abstieg gestern war eine wahre Herausforderung, denn mein GPS hat einfach seinen Geist aufgegeben und so bin ich mit der Sprachnavigation von Komoot in Unterstützung von Kompass und Karte querfeldein zu einer unbewirtschafteten Hütte gewandert. Als ich das grelle orangefarbene Gebäude das erste Mal erblickt habe war es die pure Erleichterung.


Diese ist nochmal angestiegen als ich die Hütte betrete und ich von einer Hitzewelle fast umgehauen werde. Ein anderer HRP Wanderer ist schon da, hat Feuer gemacht und begrüßt mich freundlich. Ich breche in Tränen aus. Die letzten Stunden waren wohl die härtesten meines Lebens und an diesem Abend hier anzukommen lässt mir ein Stein von der Seele fallen. Die nassen Sachen werden zum Trocknen aufgegangen und nachdem ich mich beruhigt habe ist der andere Wanderer, den ich auf Fire Maker getauft habe, auch nicht mehr ganz so hilflos was er mit mir anfangen soll.
Wir verstehen uns richtig gut und quatschen bis spät in die Nacht. Auch mein GPS Gerät bringt er wieder zum laufen. Am nächsten Morgen tuen meine Knie unfassbar weh. Jeder Schritt ist Schmerz. So starten wir erst sehr spät und langsam. Heute machen wir nicht viele Kilometer. Stattdessen nutzen wir den Tag zum Reden und Erholen. Ich glaube ohne Fire Maker wäre ich an diesem Tag gar nicht weiter gewandert. Ich glaube ohne ihn wäre das mein letzter Tag auf der Haute randonnée pyrénéenne gewesen.

Tag 23
Kälte schlägt mir morgens entgegen als ich aus dem Schlafsack krabble. Die Berge rundum sind mit Schnee bedeckt und ich muss erstmal schlucken. Schnee und ich vertragen sich beim Wandern einfach nicht so gut 😀

Aber hilft ja nichts. Ich packe mich warm ein, laufe los und mache mich an die Bachdurchquerung. Doch die Steine sind heute besonders glatt und prompt liege ich auch schon im Wasser. Meine Handschuhe sind pitschnass und so ziehe ich aus der Not hinaus einfach ein paar Socken über meine Hände. Zum Glück ist sonst alles okay und so beginne ich sehr langsam und vorsichtig den Aufstieg.


Momentan habe ich aber auch eine kleine Pechsträhne. Doch davon will ich mich nicht runterziehen lassen 🙂 Ich nähere mich langsam aber sicher dem Pass und immer mehr Schnee bedeckt das weitläufige Geröllfeld, welches ich hinaufsteige. Als ich den höchsten Punkt erklimme erstreckt sich vor mir ein verwunschenes, weißes Winter Wunderland. Der Blick nach unten reißt mich aber aus meinem Staunen. „Hier kann es nicht runter gehen“ denke ich. Aber doch genau das tut es. Ein sehr steiles, vereistes Geröllfeld erstreckt sich vor mir und ich krieche förmlich den Berg hinunter.



Ein Großteil dieses Abstieges bewältige ich auch auf meinem Hintern 😀 Aber hey, ich bin sicher den Berg runtergekommen und das ist doch die Hauptsache. Nachmittags taucht auch Fire Maker plötzlich wieder auf, zwar später als ich gestartet aber total enthusiastisch und glücklich über den Schnee. Zusammen setzen wir die Kletterpartei auf der Haute randonnée pyrénéenne bis in die frühen Abendstunden fort.


Doch irgendwann mag ich nicht mehr, fühle mich müde und ausgelaugt. Ich habe das Gefühl es fängt gleich an zu regnen und baue mein Zelt auf während er weiterzieht. Kurze Zeit später fängt es an zu regnen. Zum Glück ist das Zelt schon aufgebaut und so mache ich es mir mit einer großen Portion Nudeln und spannenden Reiseberichten von meinem E-Book im Zelt gemütlich.
Tag 24

„Guten Morgen – Danke, dass du da bist“. Denn diese Nacht war es echt kalt und ich habe ein wenig gefroren. Mit steifen Fingern baue ich das Zelt ab, ziehe mir wieder meine tollen Sockenhandschuhe an und tanze mich noch eine Runde warm bevor ich den Rucksack schultere. Minuten später bekomme ich sie dann zu sehen – die Sonne. Langsam klettert sie den Himmel hinauf und vor lauter Glück und Freude muss ich sogar lachen. Darauf habe ich so lange gewartet.



Umso flinker bin ich unterwegs und laufe über die eisgefrorenen Steine zu dem Refugio de Cerstascan. “Zeit für eine Pause” beschließe ich kurzerhand, betrete die kleine Hütte und verbringe die nächste halbe Stunde mit der super lieben Hüttenwirtin, die mir köstliches Essen auftischt. Da kann ich fast gar nicht aufhören zu Futtern 😀 Während ich einen Moment alleine bin und meinen heißen Kakao schlürfe klingen die Töne von “Don‘t let me down” aus dem Radio und zusammen mit der Wärme des Kakaos durchströmt mich eine tiefe Zufriedenheit. Auch wenn ich mich in manchen Momenten entsetzlich einsam fühle, gibt es doch so viele Menschen die mich bei meiner Wanderung unterstützen. Sei es von zuhause aus mit lieben Nachrichten und Anrufen oder auch die ganzen schönen Begegnungen unterwegs.
Das alles gibt mir wirklich enorme Kraft weiterzumachen, auch wenn ich mich am Nachmittag gleich wieder verlaufe und der Weg wieder einmal schnurgerade und fast senkrecht den Berg hinaufführt. Ich sag nur typisch Haute randonnée pyrénéenne.

Tag 25
„Glaube kann Berge versetzen“ ist ein so schönes Sprichwort. “Aber wie viel ist da wirklich dran, wie stark kann Glaube sein?” frage ich mich heute den ganzen Tag. Die Antwort die ich am Ende darauf finde ist “Unglaublich stark!”. Denn in den letzten Tagen konnte ich neuen Glauben, neue Hoffnung wiederfinden. Ich komme besser voran, bin wieder optimistischer und aufgeladen mit neuer Energie. Das fühlt sich toll an, fast so als wäre ein niedergebranntes Feuer in meinem Inneren wieder entfacht worden. Und nun brennt es noch stärker als zuvor.


Aber auch die Aussicht auf eine Nacht in einer Hütte und ein leckeres Essen motiviert mich. Deswegen laufe ich heute eine sehr lange Strecke. Zunächst noch durch die hohen Berglandschaften von Andorra, vorbei an einem leider touristenüberströmten Bergsee und großen und im Sommer ziemlich trist aussehenden Skigebieten.


Das letzte Stück führt mich ein schmaler Trail, der sogar mit kleinen Holzeichhörnchen markiert ist, durch einen Mischwald. Als ich die Hütte erreiche zerplatzt dann meine Vorfreude wie ein kleiner Luftballon. Die Nacht hier kostet einfach mal 66€. Erst denke ich, ich habe etwas falsch verstanden. Aber nein, das ist leider nicht der Fall. Doch als die Hüttenwirtin mein Zögern bemerkt, meint sie im Keller gibt es auch einen Schlafraum und der ist sogar kostenlos. Da brauche ich nur einen eigenen Schlafsack und Isomatte. Na das ist doch kein Problem. Ich habe den Raum im Keller ganz für mich und der verfügt sogar über Waschbecken, Steckdosen, einer Heizung und Bettgestellen aus schwarzem Stahl. Ein wahrhaft luxuriöser Abend auf meiner Pyrenäen Durchquerung auf der Haute randonnée pyrénéenne. Na ja zumindest luxuriös in den Augen einer Weitwanderin 🙂
Liebe Caroline,
danke für diesen tollen Bericht. Du hast es wieder verstanden, Deine Erlebnisse so authentisch und berührend zu schreiben, als würde man selbst die Pyrenäen durchqueren 👍😊. Ich freue mich schon auf den Folgebericht!
Liebe Grüße sendet Dir Barbara
Liebe Barbara,
vielen lieben Dank für deine tollen Worte 😊 Vor allem bei diesem Bericht freue ich mich ganz besonders darüber, denn irgendwie fiel es mir dieses Mal sehr schwer mich zu motivieren und weiter zu schreiben 😅 Daher lassen mich solche Worte echt strahlen und motivieren zum weiterschreiben, Danke dafür 😊
Ganz liebe Grüße, Caroline
Hallo Caro,
Ich kann mich Barbara nur anschließen. Ich selbst bin auch leidenschaftlicher Wandersmann und kenn ähnliche Situation. Bei Deinem Bericht hatte ich echt Gänsehaut gepaart mit Fernweh und Lust auf ebenso wieder eine Fernwanderung. Der GR5 steht bei mir auf dem Zettel.
Danke für Deine Wanderberichte und noch viele tolle Erlebnisse.
Mit Freude auf den Nächsten,
Liebe Grüße,
Christian
Hallo Christian,
auch vielen lieben Dank für Deine Nachricht 😊 Das tut irgendwie gut zu wissen, dass auch andere solche Situationen kennen 👍🏻 Und der GR5 schaut richtig toll aus. Hast Du da schon konkrete Pläne wann du den wandern möchtest?
LG Caroline
Hallo Caroline,
für nächstes Frühjar haben ich und meine Frau erstmal den Wicklow Way | Irland (https://de.wikipedia.org/wiki/Wicklow_Way) in Plaung. Wir beide sind absoulte Irlandfans.
Den GR5 muss ich derzeit alleine planen. Zu einer solch langen Wanderung bekomm ich meine Frau nicht bewegt. 😉 Sie macht schon echt viel mit und dafür bin ich Ihr echt super dankbar. Ich möchte aber echt nochmal gerne auf eine Fernwanderung. Überlege selbst noch, ob ich wirklich von den Niederlanden (dann sind es 2000KM bis zum Ziel) oder vom Genfer See den Start plane. Ist leider auch eine Frage des Urlaubs. Im Berufsleben ist es nicht (mehr) so einfach spontan eine Wanderung von 60-80 Tagen genehmigt zu bekommen. Respekt habe ich auch vor dem alleine Wandern. Bisher hatte ich immer einenBegleiter, auch bei früheren Fernwanderungen, aber das Feld der Interessten schrumpft, um so länger der Wanderweg wird. 😉 Kennst Du bestimmt auch oder?
Liebe Grüße,
Christian
Hallo Christian,
oh das ist ja toll, der Wicklow Way war meine erste Mehrtageswanderung und ich bin zwar nur den ersten Teil des Trails gewandert aber der hat mir sehr gut gefallen 😉 Danach war ich auch absolut begeistert von Irland und möchte auf jeden Fall nochmal hin.
Oh ja für solch lange Wanderungen ist es wirklich schwer Wanderpartner*innen zu finden. Und dann auch noch mit denen die ganze Strecke durchzuwandern 😉 Bin deshalb auch meistens alleine unterwegs. Und ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Fernwanderung im Berufsleben nicht mehr ganz so einfach umzusetzen ist, wie z.B. noch im Studium. Trotzdem wünsche ich Dir ganz fest, dass Du Dir diesen Traum verwirklichen kannst 😊
Liebe Grüße,
Caro
Hallo Caroline
Da ist es aber knüppeldick auf dich niedergeprasselt, da braucht es schon eine gehörige portion Kraft um nicht aufzugeben und weiter zu wandern…. Respekt!!!!
Und oft wenn wir meinen es geht nicht mehr kommt von Irgendwo ein Lichtlein her 😊
Ich wünsche dir weiterhin alles gute und freue mich schon auf den nächsten Blogeintrag!
Liebe Grüße Robert
Hallo Robert,
Oh ja das war ganz schön viel auf einmal an diesem Tag 🙈 Danach habe ich aber auch echt erstmal ein paar Tage gebraucht, um mich wieder zu fangen. Vielen lieben Dank, da hast du wirklich recht und dieses Gefühl zu bewahren, dass immer irgendwo ein Lichtlein herkommt finde ich super wichtig 😍 Ich wünsche Dir auch alles gute und sende liebe Grüße 😊
Caro
Hallo Caro,
vielen Dank für deine tollen Tourenberichte, du hast mir schon bei den Peaks of the Balkans tolle Tips und Inspirationen gegeben 🙂
Ich habe eine Frage zum HRP: Ich habe gelesen, dass die Strecke in großen Teilen nicht markiert ist. Wie hast du denn die Navigation gemacht bzw wie schwierig ist deiner Ansicht nach die Wegfindung?
Vielen Dank und viele Grüße
Chris
Hallo Chris,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar 😊 Freut mich sehr, dass dir mein Blog gefällt und dich inspiriert.
Der HRP ist leider wirklich meist nicht markiert. Ich hatte einen Reiseführer und GPS Daten auf dem Handy dabei. Damit ging es schon klar, war manchmal aber schon ziemlich nervenaufreibend und schwierig 🙈 Teilweise ist der Weg leider auch schlecht ausgebaut und es ist wichtig sich Zeit zu nehmen.
Liebe Grüße
Caroline
Liebe Caroline!
Habe eigentlich den GR11 auf dem Schirm für diesen Sommer! Heute bin ich über deinen Bericht zum HRP gestolpert und deine Bilder machen mir Lust statt dessen über den HRP nachzudenken. Konnte leider die 25. Etappe nicht auf Komoot runterlasen, da stimmt irgendwas mit der Datei nicht… der Tag dauert auch über 15000Std 😅. Vlt hast du ja noch einen anderen Link für diese Etappe zum Runterladen?! Bin jedenfalls schwer angetan von deinem Bericht. Werde deine Seite weiter verfolgen! Dir viel Erfolg mit deinen Vorhaben!